Gastbeitrag von Rüdiger Christ
Vor 108 Jahren, am 20. Oktober 1917, ereignete sich in Tiefenort ein außergewöhnliches Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte: Das Marine-Luftschiff L 55 der Kaiserlichen Marine musste auf der Flur „Wacht“ oberhalb von Tiefenort eine Notlandung durchführen.
Für die Menschen in Tiefenort und der gesamten Region war das ein unvergessliches Erlebnis, viele sahen damals zum ersten Mal ein Luftschiff dieser Größe. Der imposante Zeppelin war fast 200 Meter lang und hatte einen Durchmesser von rund 24 Metern.
L 55 war am 19. Oktober 1917 von der Luftschiffbasis Ahlhorn zu seiner zweiten Angriffsfahrt nach England gestartet, beladen mit rund zwei Tonnen Bombenfracht. Beim Anflug auf London wurde das Luftschiff durch massives Abwehrfeuer schwer beschädigt.
Auf dem Rückflug führten starke Winde, Motorausfälle und der Ausfall der Funkanlage zu weiteren Schwierigkeiten. L 55 stieg auf über 7.600 Meter Höhe, wo die Besatzung unter extremen Temperaturen und Sauerstoffmangel litt.

Als der Treibstoff knapp wurde, entschloss sich Kapitänleutnant Hans-Curt Flemming zur Notlandung. In den späten Nachmittagsstunden des 20. Oktober 1917 setzte L 55 schließlich bei Tiefenort auf einem Acker mit der Flurbezeichnung „Wacht“ hart auf.
Dabei wurden Teile der Gondel, der Propeller und das Gitterwerk des Rumpfes beschädigt. Die 20 Mann Besatzung blieb unverletzt, eine Weiterfahrt war jedoch unmöglich, das Luftschiff musste vor Ort abgewrackt werden.

Zahlreiche Einwohnerinnen und Einwohner Tiefenorts strömten noch am selben Abend zum Ort des Geschehens, um das spektakuläre Ereignis mit eigenen Augen zu sehen. Bis Ende Oktober 1917 wurde das Wrack mit Hilfe der Tiefenorter Bevölkerung vollständig demontiert.
Teile der Stoffhülle wurden den Einheimischen überlassen, die daraus Kleidung anfertigten. Ein Stück Zeppelin-Geschichte, das noch lange in der Region nachhallte.

Zum 20. Jahrestag der Notlandung errichtete der Tiefenorter Baumeister Carl Schanz im Jahr 1937 den „Zeppelinstein“ auf der "Wacht", der feierlich im Beisein ehemaliger Besatzungsmitglieder eingeweiht wurde. Bis heute wird die Anlage in ehrenamtlicher Arbeit von Tiefenorter Vereinen und engagierten Bürgern gepflegt.
Auch im Zeppelin-Museum Friedrichshafen findet die Geschichte von L 55 besondere Erwähnung. In der Region um Tiefenort lebte zudem die Erinnerung an einen jungen Mann aus Salzungen fort, der damals als erster zur Mannschaft geeilt sein soll.
Er wurde seither liebevoll „Zäppche“ oder „Zepp“ genannt und seine Geschichte wurde noch über Generationen in den Salzunger Gasthäusern erzählt.
Die Notlandung des Luftschiffs L 55 bleibt ein faszinierendes Kapitel regionaler Geschichte und Zeugnis einer Zeit, in der Technik, Mut und Schicksal untrennbar miteinander verbunden waren.

